Erinnerungs-Werkstatt
Dokumentarische Fotos können mehr
Unlängst habe ich mit meiner Tante laut darüber nachgedacht, wie es kommt, dass wir so fotografieren wie wir fotografieren. Nicht nur die Frage, warum es mich so in den Bann zieht, sondern auch, warum sie es schon so vorgelebt hat. Es wurde mir quasi schon in der Wiege mitgegeben ungestellte Fotos zu machen. Meine Tante hat nie etwas aufnehmen wollen, was nicht echt ist. Etwas, was vorgibt etwas anders zu sein, als das was es ist, hat sie einfach nicht beeindruckt. Gleichzeitig hat sie grossen Wert gelegt auf die Dokumentation unseres Lebens.
Aber es ist noch mehr als das.
Was kann die Fotografie? Was machen die Aufnahmen unseres Alltags und unseres Lebens für uns? Nicht nur dokumentieren Fotos einen Moment, einen kleinen Augenblick unserer Existenz. Sie machen noch viel mehr: Sie schaffen langlebige Bilder in unseren Köpfen. Erinnerungen, die in vielen Jahren vielleicht so für uns nicht existieren würden. Mit Foto aus Momenten, die wir über die Jahre immer wieder in die Hand nehmen können, kreieren wir etwas Bleibendes: Bilder, die sich festsetzen in unseren Köpfen. Erinnerungen, die sonst In dem Meer von vielen gelebten Momenten verschwimmen würden. Dies geschieht besonders intensiv, wenn sich zu einem Bild eine sich wiederholende Geschichte gesellt. Irgendwann im Laufe der Zeit werden die Momentaufnahmen zu kleinen Meilensteinen in unseren Gedächtnissen, machen einen Teil unserer Geschichte aus, werden kleine Definitionen von uns selbst.
Woran wollen wir uns erinnern, wenn wir anfangen zu vergessen?
Eine liebe Freundin von mir, die Fotografin Olivia Etter, hat auf Ihrer Website eine sehr relevante Frage gestellt: Woran wollen wir uns in 30 Jahren erinnern? Sicher sind gestellte und Lifestyle Bilder wunderschön zum anschauen. Aber eines können Sie nicht: Sie können nicht die Realität unseres Lebens abbilden. Sie können nicht, wie in der dokumentarischen Fotografie, gelebte Momente von uns selbst abbilden. Sie können keine echten Erinnerungen schaffen.
Dokumentarische Fotograf:innen stellen also nicht nur Zeitdokumente her. Sie können mehr. Sie betreiben kleine Erinnerungs-Werkstätten. Sie halten nicht nur unser echtes Leben in wunderschönen starken Fotos für uns fest, sie helfen uns auch dabei, unser Leben in langlebigen Bildern in unseren Köpfen zu speichern. Damit wir auch in 30 Jahren noch genau wissen, was uns damals ausgemacht hat.
“Nothing is better than real life.” Kirsten Lewis